Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas Stadtteilarbeit überlegen gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern neuer Quartiere, wie eine gute Nachbarschaft aussehen könnte.

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Auch für Nachbarschaften ist die Corona-Krise eine Herausforderung.

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Manchmal braucht es einen kleinen Schubser in die richtige Richtung. Zum Beispiel wenn es darum geht, in einem Wohnprojekt eine gute Nachbarschaft zu etablieren. Genau dieses Ziel hat die Caritas Stadtteilarbeit. Ein Team aus 25 Mitarbeitern und 40 Freiwilligen begleitet Bewohner neuer Quartiere oft mehrere Jahre lang. "Natürlich kann gute Nachbarschaft auch alleine entstehen, aber sie ist eben auch ein Prozess, der laut unserer Erfahrung begleitet und gefördert werden kann", sagt Katharina Kirsch-Soriano, die Leiterin der Stadtteilarbeit.

Aktuell ist ihr Team etwa in der Seestadt, im Projekt Neu-Leopoldau im 21. Bezirk, in der Biotope City am Wienerberg, im Kreta-Viertel in Favoriten oder im Wildgarten im zwölften Bezirk tätig sowie in der niederösterreichischen Gemeinde Ternitz. "Wir wollen das Potenzial von Nachbarschaft zum Vorschein bringen", sagt Kirsch-Soriano und meint damit, ein Netzwerk entstehen zu lassen, das vor allem für weniger mobile Menschen sowie für Eltern mit kleinen Kindern und vulnerable Gruppen eine Unterstützung sein kann. "Nicht alle Menschen haben viele Freunde und Bekannte über die ganze Stadt verteilt, die sie regelmäßig treffen können", so Kirsch-Soriano. Für sie sei Nachbarschaft besonders wichtig.

Die Arbeit hilft auch, die Selbstlösungskompetenzen, wie Kirsch-Soriano es nennt, zu stärken. Als Beispiel: Wer seine Nachbarn kennt, wird, wenn es mal zu laut wird, eher direkt mit ihnen sprechen und nicht sofort die Polizei rufen. Ganz konkret organisiert die Stadtteilarbeit Gelegenheiten, um einander und die neue Nachbarschaft kennenzulernen, etwa in Nachbarschaftscafés, bei Picknicks oder gemeinsamen Spaziergängen, auch einen Fotowettbewerb gab es schon.

Bedarf ermitteln

Dann geht es darum, herauszufinden, welchen Bedarf es gibt, welche Hobbys und Interessen. Danach wird überlegt, wie Gemeinschaftsräume genutzt werden könnten. Immer wieder beginnt die Arbeit der Stadtteilarbeit auch schon so früh, dass gemeinschaftliche Räume nach den Bedürfnissen der neuen Bewohner eingerichtet werden – besonders im geförderten Wohnbau in Wien wird hier aktuell so weit im Voraus gedacht, so Kirsch-Soriano. Sowieso sei dabei allerdings immer die Frage: "Wie viel Mitentscheiden lässt der Wohnbauträger zu?"

Je nachdem entstehen dann nachbarschaftliche Aktivitäten wie Tanzen, eine Bastelgruppe, gemeinsames Kochen oder ein Kinder-Treff. Soziale Treffpunkte werden zum Fixpunkt, etwa Feste, zu denen jeder etwas mitbringt oder sich – je nach Fähigkeiten – um Organisation, Programm oder musikalische Begleitung kümmert.

Natürlich war das alles vor Corona. Die Pandemie hat auch die Stadtteilarbeit sowie viele Nachbarschaften vor Herausforderungen gestellt. "Es gab einen großen Bedarf für unsere Arbeit", sagt Kirsch-Soriano. Denn viele Menschen waren und sind in schwierigen Situationen – seien es Probleme in der Familie, Einsamkeit, ökonomische Schwierigkeiten oder psychische Belastungen. Gleichzeitig sollten Kontakte reduziert oder auf digitalen Plattformen gepflegt werden. Vor allem dort, wo es schon zuvor Gemeinschaften gab, ist das gut gelungen, so Kirsch-Soriano. In neuen Projekten oder bei älteren Menschen ließ sich das nur schwer umsetzen.

Einkaufen für die Nachbarn

Dennoch haben Nachbarschaften auch von der außergewöhnlichen Zeit profitiert. Vielerorts sind Hilfsinitiativen ganz von alleine entstanden, etwa wenn es darum ging, für ältere Mitmenschen einzukaufen.

Durch die Krise sieht Kirsch-Soriano auch in Zukunft noch viel Bedarf. In der Seestadt wird etwa mit dem neuen Projekt "Resilienz-Netzwerk Seestadt" versucht, auf Notsituationen zu reagieren. Dabei ist, initiiert durch das Stadtteilmanagement vor Ort, eine Vernetzungsdrehscheibe entstanden, wo Einrichtungen wie das Sozialamt, Jugendeinrichtungen, die Wohnungssicherung oder die SchuldnerInnenberatung gemeinsam konkrete Angebote für die Bewohner setzen. "Wo wir ansonsten Urban Gardening und Flohmärkte organisieren, treten in unserer Arbeit nun wieder ganz grundlegende ökonomische und gesellschaftliche Fragen in den Vordergrund – auch das ist leider eine Folge der Krise."

Die Krise hat auch Nachbarschaftsbeziehungen verändert. Es gibt mehr Bedarf für Gemeinschaft und Unterstützung, gleichzeitig das Gebot, Abstand zu halten und sich weniger zu treffen. (Bernadette Redl, 26.10.2020)