Blind durch die Linzer Innenstadt

Wo andere entspannt flanieren und den Schaufenster-Bummel genießen, beginnt für Markus Moser der Hürdenlauf. Ein Baustellen-Zaun, ein unsachgemäß abgestellter E-Scooter, ein niedriges Straßenschild – das alles sind Barrieren für den jungen blinden Mann. Ein Besuch in der Stadt ist für ihn kein entspannter Trip, sondern ein mühsames Unterfangen.

Wenn Markus Moser im städtischen Umfeld navigiert, nützt er ganz bestimmte Hilfsmittel in der Straßen-Architektur. Er fährt mit seinem Blindenstock die Hausmauer entlang, oder an der Gehsteig-Kante. Ist der Gehsteig sehr breit, braucht er eine Leitlinie, um gerade die Straße entlang gehen zu können. Leitlinien sind taktile Erhebungen im Boden, anhand der er mit dem Blindenstock entlang gehen kann. Er kennt Linz mittlerweile gut, und weiß: Hier hat er nichts in dieser Hinsicht.

Keine 30 Meter haben wir von seiner WG im Kompetenzzentrum für Hör- und Sehbildung in der Kapuzinerstraße zurückgelegt, schon bittet er mich, ob er sich bei mir einhaken darf. Den Weg zur Bushaltestelle schafft er problemlos und flott. Alles darüber hinaus ist ein abenteuerliches Unterfangen – und Grund für ihn, nur selten in die Stadt zu gehen.

In den Bus kommt Markus Moser noch ohne Schwierigkeiten. Am vorderen Ende der Bushaltestelle befindet sich ein „Aufmerksamkeitsfeld“, ein großes Quadrat mit Beton-Noppen. Hier kann er stehen und weiß, der Bus wird so halten, dass sich die vorderen Einstiegstüren vor ihm öffnen – mit einem gewissen österreichischen Spielraum für Ungenauigkeit. Um den Hals hat Markus Moser einen Handsender hängen. Er drückt ihn bei Ampeln, um das akustische Signal zu aktivieren, und bei Bussen sowie Straßenbahnen, um eine Ansage zu bekommen, welche Linie vor ihm steht und in welche Richtung es geht.

Begegnungszone als Worst-Case

Da die Monatskarte für die Busfahrt jedoch unauffindbar ist, legen wir die zwei Haltestellen bis zur Landstraße zu Fuß zurück. Bei dem jungen Mann schwingt Unsicherheit mit. Er geht diese Strecke selten. Zwar hat der Gehsteig in der Baumbachstraße eine für ihn angenehme Breite, doch gleichzeitig befindet sich hier alles, was sein Leben schwer macht: Im Abstand von jeweils zehn Metern verschmälern ein Parkschein-Automat, ein E-Scooter, gefolgt von einem großen Müllcontainer den Gehsteig. Die Autos fahren langsamer, wenn sie uns sehen, Passant*innen weichen auf die Straße oder die andere Straßenseite aus, um uns Platz zu machen. „Danke“, sage ich jedes Mal, und sofort kommt auch von Markus ein „Danke“ an den Unbekannten.

Als sich die Straße auf Höhe des CARLA-Second-Hand-Shops verbreitert, fasst Markus etwas mehr Mut. „Hier kann ich es einmal alleine probieren“, meint er. Ich sehe mir das Stück Straße vor uns an: Es gibt keinen definierten Gehsteig mehr. Rechts ist die Fahrbahn, links in einer Einbuchtung ein Parkplatz für Autos. Erst hinter dem Parkplatz fängt der reguläre Gehsteig wieder an. Dass der Gehweg links am Parkplatz vorbei führt, ist für Markus nicht erkenntlich. Er geht intuitiv geradeaus und damit schnurstracks auf ein quer-parkendes Auto zu. Den schmalen Spalt zwischen den zwei parkenden Autos zu finden, durch den er wieder auf den Gehsteig käme, ist für ihn ein Ding der Unmöglichkeit.

Ich schildere das Dilemma, und Markus hängt sich wieder bei mir ein. Auch weil er weiß: Jetzt kommt die Begegnungszone Herrenstraße. Was für normale Fußgänger nett klingt, ist für Markus das Worst-Case-Szenario: kein Gehsteig, parkende Autos, fahrende Autos, Radfahrer*innen aus beiden Richtungen und ein Baustellen-Schild mit breitem Betonfuß, über das er prompt stolpert. Denn selbst der suchende Blindenstock findet nicht alle Hindernisse. So kommt es nicht selten vor, dass Markus mit dem Kopf in einem Straßenschild oder dem Fuß in einem Pfosten landet – auch ein Grund für ihn, nie ohne Begleitung in die Stadt zu gehen. Und vor allem weiß er in der Herrenstraße: Die Autos fahren hier meist viel zu schnell. Hier gilt es, besser nicht die Straße zu queren und nicht alleine zu gehen. Auf der Landstraße hingegen kann er ohne größere Gefahren queren.

Stadtbesuch nur in Begleitung

In der Regel ist Markus mit seinem Betreuer, seiner Mutter oder einem Bekannten unterwegs. Alleine einkaufen, in ein Café oder auf eine Eis gehen ist ihm fremd. Zu mühsam gestaltet sich alles. Im Gasthaus müsste sonst die Bedienung die Speisekarte vorlesen. In Geschäften müsste er bei der Kassa oder dem Info-Point fragen, wo die gesuchten Stücke sind. Meistens wird geholfen, von Bekannten weiß er jedoch auch, dass sie manchmal einfach ignoriert werden.

Wenn er neue Kleidung braucht, geht er mit seiner Mutter. Sie hilft ihm sich im Geschäft zu orientieren und berät ihn, damit er weiß, ob das gesuchte Stück seinem Stil und Schnitt entspricht.

Fußgängerzone ohne Anhaltspunkte

Von der Herrenstraße geht es auf die Landstraße. Sie ist nur bedingt besser. Mit dem klassischen „Fußgängerzonen-Gehsteig“ tut sich Markus Moser schwer. Der ebenerdige Gehsteig ist zwar Rollstuhl- und Kinderwagen-freundlich, doch als blinder Mensch fehlen Markus Moser jegliche Anhaltspunkte. Es gibt keine Bordstein-Kante, an der er sich „festhalten“ könnte. Und auch die Hausmauer bietet mehr Hindernisse als Hilfe: Postkarten- und Kleiderständer versperren vor allem im Sommer den Weg, genauso wie Tische und Sessel von Gastgärten. Leitlinien fehlen komplett. „Eigentlich ist alles von der Blumauerkreuzung bis hin zur Donau schwierig“, meint er nüchtern.

Doch ich meine mich zu erinnern, Leitlinien im südlicheren, neu gepflasterten Teil der Landstraße gesehen zu haben. Wir machen uns auf die Suche. Und tatsächlich beginnt ab dem Zebrastreifen in der Bürgerstraße eine Leitlinie. Sie geht ganze zehn Meter, führt zur Straßenbahn-Haltestelle, und endet dann...

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